Dissertation
Was steht dem Wissenstransfer zur Tiergesundheit in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung entgegen?
Details zur Publikation
Autor(inn)en: | Hoischen-Taubner, S. |
Publikationsjahr: | 2022 |
DOI-Link der Erstveröffentlichung: |
Produktionskrankheiten sind (auch
in der ökologischen) Nutztierhaltung weit verbreitet und werden in der
Gesellschaft zunehmend als negativer externer Effekt wahrgenommen. Sie führen
zum Einsatz von Antibiotika, sind Ausdruck eines beeinträchtigten Tierwohls und
verursachen den landwirtschaftlichen Betrieben Ausfallkosten. Obwohl zu den
Ursachen und der Vorbeugung viel geforscht wurde sind Produktionskrankheiten
weit verbreitet. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den mit dem Begriff
Wissenstransfer beschriebenen Prozess zur Verbesserung der Tiergesundheit
kritisch zu beleuchten und Hemmnisse zu identifizieren. Dazu wurden im
Forschungsprojekt Reflexion Workshops mit Vertretern verschiedener
Stakeholder-Gruppen (Landwirte, Berater, Tierärzte, Wissenschaftler,
Berufsverbände und NGO’s) durchgeführt und Vorstellungen und Einschätzungen zum
Themenfeld „Tiergesundheit“ einer umfassenden Reflexion aus
kommunikationswissenschaftlicher und erkenntnistheoretischer Sicht unterzogen
(Veröffentlichung I und II). Als Hemmnisse für den Wissenstransfer wurden u.a.
die Variation und Komplexität der betrieblichen Situation sowie verschiedene
Konflikte (z.B. zwischen Ökonomie und Tiergesundheit) identifiziert. Auf der
Ebene der Akteure stellte sich das diverse Verständnis von Tiergesundheit
verbunden mit subjektiv geprägter Wahrnehmung und selbstreferenziellen
Bewertungen als Hemmnis für den Wissenstransfer heraus. Die Stakeholder des
Netzwerkes verfolgten teilweise gegensätzliche Interessen. Ein unklares Selbst-
und Rollenverständnis war verbunden mit einer Verantwortungsdiffusion und
schien geeignet, systemerhaltende und beharrende Motive anstelle von
Veränderung zu begünstigen.
Im Projekt Tier-Wirt
(Veröffentlichung III) wurden die Komplexität der betrieblichen Zusammenhänge
und die Variation zwischen Betrieben, am Beispiel von 32 Milchviehbetrieben
thematisiert. Ausgehend von Daten der Milchkontrolle wurden hinsichtlich des
Leistungsniveaus und des Gesundheitsstatus (emergente Systemvariablen) fünf
Betriebstypen identifiziert, die sich neben anderen Parametern signifikant im
Anteil der Milchkühe unterschieden, die bis zu ihrem Ausscheiden aus dem
Betrieb mindestens die mit ihrer Aufzucht und Haltung verbundenen Kosten
erwirtschaften konnten (Kühe in der Gewinnphase). In den Gruppen von Betrieben,
die durch einen größeren Anteil von Kühen mit Hinweisen auf
Stoffwechselprobleme gekennzeichnet waren, lag der Anteil der Kühe in der
Gewinnphase teils deutlich unter 50 %, auch bei sehr hohen
Milchleistungen. Unterschiede der Betriebstypen verdeutlichten die
Notwendigkeit spezifischer strategischer Betriebsziele und Maßnahmen. Der
Anteil der Kühe in der Gewinnphase scheint als Schlüsselvariable für das strategische
Management geeignet, da sie sowohl die Überlebensfähigkeit des Einzeltieres als
auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des Betriebes aggregiert und damit der
Komplexität der Systeme gerecht wird. Als Zielvariable des betrieblichen
Managements kann sie den Bedarf an spezifischem Wissen zur Verminderung der
Produktionskrankheiten wecken und so Veränderungen fördern.
In der gemeinsamen Diskussion
wurden die identifizierten Hemmnisse zum Wissenstransfer sowie das Konzept des
Wissenstransfers selbst im Kontext systemwissenschaftlicher Forschung kritisch
diskutiert. Dabei wurde das nach wie vor weit verbreitete lineare Konzept des
Wissenstransfers auch für den Bereich der Tiergesundheit als fehlgeleitet
identifiziert. Ein Hemmnis für die Verbesserung der Tiergesundheit ist auch die
produktivistische Prägung der Landwirtschaft und des mit ihr verbundenen
Stakeholdernetzwerkes. Aus einer systemorientierten Perspektive muss das
(messbare) Ziel verminderter Produktionskrankheiten mit dem Zweck der landwirtschaftlichen
Betriebe (und damit dem Selbsterhalt) verknüpft werden, damit ein Bedarf an
neuen Erkenntnissen und Motivation für ihre Umsetzungen entstehen und sich das
vorhandene Stakeholdernetzwerk mit seinen vielfältigen Akteuren auf dieses neue
Ziel ausrichtet.
Projekte
- Aggregiertes Indikatorkonzept zur Beurteilung von Tierschutzleistungen und deren ökonomische Implikationen in der Milchviehhaltung (15.10.2016)
- Reflexionen zu den Voraussetzungen und möglichen Hemmnissen eines zielführenden Wissenstransfers am Beispiel der Tiergesundheit in der ökologischen Nutztierhaltung (15.02.2013)